BSG HAUSEN: Interview mit HBRS Präsident Heinz Wagner (07.05.2020)
„Wir helfen uns mehr als der Rest der Welt“
Interview: Behinderten- und Rehasportler in Hessen müssen extrem vorsichtig sein
Offenbach – Viele der 90.000 Menschen, die im hessischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband (HBRS) vereint sind, zählen in diesen Zeiten der Corona-Pandemie zur Hochrisikogruppe; angesichts des hohen Alters, der Erkrankungen oder aus beiden Gründen. Der aus Offenbach stammende und in Dudenhofen wohnende HBRS-Präsident Heinz Wagner schwankt zwischen Frust und Zuversicht.
Heinz Wagner, was kann Ihr Verband in diesen Krisenzeiten seinen Vereinen und Mitgliedern bieten?
Wir versuchen natürlich, Online-Angebote zu präsentieren, was aber nicht so einfach ist. Klar, bei unseren ID-Fußballern funktionieren die Videoeinheiten. Aber im Herzsport läuft gar nichts ohne Ärzte in Bereitschaft. Beim Rehasport versuchen wir mit Unterstützung der Krankenkassen, des deutschen Behindertensportverbandes und den Vereinen so eine Art Tele-Training durchzuziehen. Also Übungen vor dem Fernseher oder dem Computer.
Wie kann man sich das vorstellen?
Die Übungsleiter – davon haben wir mittlerweile 3000, die jetzt leider keine Aus- und Fortbildung machen können – müssen die Teilnehmer dabei sehen können, um zum Beispiel bei Fehlstellungen einzugreifen. Das ist besser als nichts, ersetzt aber nicht das normale Programm.
Was fehlt vor allem?
Bei uns in den Kursen sind 60 Prozent der Teilnehmer über 60 Jahre alt. Sie kommen nicht nur wegen des Sports, sondern auch wegen der Gemeinschaft und des Austauschs über Gesundheit, Sorgen, Nöte.
Fast alle Teilnehmer dürften zur Hochrisikogruppe zählen.
Allerdings. Deshalb müssen wir extrem vorsichtig sein, kommen erst nach allen anderen Sportgruppen wieder dran. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten in einer unserer Seniorengruppen einen Corona-Fall – da wären Todesfälle programmiert. Das mag ich mir überhaupt nicht ausmalen. Wir werden Geduld benötigen und Vorkehrungen treffen müssen, wenn wir wieder starten.
Welche?
Wir müssen vermutlich die Gruppen mit Blick auf Sicherheitsabstände verkleinern. In Herzsportgruppen dürfen laut gesetzlichen Vorgaben zurzeit 20 Teilnehmer mitmachen, das werden nur noch zehn bis 12 sein. Rehasport muss vermutlich von 15 auf maximal acht Leute reduziert werden.
Haben Sie in dieser Krise Angst um Ihren Verband?
Klares Nein. Wir haben tolle Unterstützung und Anerkennung durch den Landessportbund und die hessische Landesregierung, stehen in permanentem Austausch. Wir haben binnen weniger Tage zum Beispiel einen sechsstelligen Euro-Betrag aus Wiesbaden erhalten, um unsere laufenden Kosten für dieses Jahr zu decken und nicht in Gefahr zu geraten.
Von welchen Kosten sprechen Sie?
Gehälter für die Landestrainer, die wir jetzt aber dennoch in Kurzarbeit schicken mussten. Die Miete für die Geschäftsstelle in Fulda sowie Gehälter für die 12 Angestellten, die zwar zeitversetzt erscheinen, jedoch Arbeit haben ohne Ende.
Wieso das?
Sie rechnen den Rehasport für die Krankenkassen ab – und die Vereine benötigen in diesen schwierigen Zeiten noch schneller als sonst ihr Geld.
Wie muss man sich das vorstellen?
Sie haben zum Beispiel Herzprobleme. Der Arzt verschreibt ihnen eine Verordnung für die Herzsportgruppe im Verein, die Krankenkasse genehmigt sie, der Verein reicht sie anschließend bei uns ein und sollte dann sein Geld bekommen.
Um welche Zahlen geht es da?
Pro Teilnehmer und Stunde im Herzsport um 8,60 Euro, im Rehasport um 6,50 Euro. Im Jahr 2019 hat unsere Geschäftsstelle mehr als 67000 Verordnungen bearbeitet. Das war schon eine ordentliche Hausnummer. Das wird demnächst anders werden, da nichts mehr läuft.
Was läuft zudem nicht, was Sie traurig stimmt?
Wir haben in Frankfurt, Wetzlar und Wiesbaden erstmals drei Teams in der Basketball-Bundesliga der Rollstuhlfahrer. Das ist schon Profisport. Die Liga spielt nicht, die Vereine haben keine Einnahmen, sind in Schwierigkeiten. Wir versuchen, Hilfsprogramme aufzustellen. Bei uns sind Geisterspiele wie in der Fußball-Bundesliga nunmal keine Option. Außerdem waren wir in diesem Jahr dran, den Jugendländercup auszurichten. Er hätte in Fulda sein sollen, mit rund 400 Athleten in den Sportarten Schwimmen, Judo, Leichtathletik und Tischtennis. Wir haben diese Olympiade im kleinen Rahmen eineinhalb Jahre lang vorbereitet, werden sie aber 2021 hoffentlich nachholen können.
Was wünschen Sie sich noch für die Zeit nach dieser Krise für den Sport?
Dass wir im Behinderten- und Rehasport ein bisschen als Vorbilder wahrgenommen werden. Behinderte Menschen helfen sich untereinander gefühlt viel mehr als der Rest der Welt. Ich hoffe, dass dieser Funke ein bisschen überspringt.
Das Gespräch führte Holger Appel
Quellenangabe: Offenbach-Post vom 07.05.2020, Seite 35